13.09.2023

Wir ernten nicht nur Gemüse!

Piluweri Saatguternte. Mitarbeiterin erntet Lauchsamen

Jedes Jahr vermehren wir Saatgut ausgewählter Gemüsesorten oder auch Blumen, meist im Auftrag der Bingenheimer Saatgut AG oder der Firma Sativa in der Schweiz. Über die Jahre hat sich da eine beachtliche Liste von Kulturen gesammelt, die wir bereits vermehrt haben: Aubergine, Gurke, Möhre, Lauch, Tomaten, Paprika, Rote und Gelbe Bete, Mangold, Kornblume, Ringelblume, Kümmel… Wofür all die Mühe?

Alle Gemüseanbauer brauchen gesundes, keimfähiges Saatgut. Die Samen mancher Gemüse sind aber nur 1-2 Jahre keimfähig, so dass jährlich neues Saatgut produziert werden muss. Schnittlauch und Pastinaken sind Beispiele hierfür. Die Samen von Tomaten hingegen keimen nach ein paar Jahren sogar besser als im Jahr nach ihrer Ernte. Viel länger als 5-7 Jahre sollte man sie aber dennoch nicht lagern. Und natürlich hängt es auch sehr von der richtigen Lagerung ab, wie lange ein Samen keimfähig bleibt. Ideale Lagerung bedeutet kühl und dunkel, geringe Luftfeuchtigkeit und vor allem aber auch möglichst geringe Temperaturschwankungen.

Der Anbau zur Saatgutvermehrung bedarf einiges an Aufwand und Geduld, aber wenn alles klappt, lohnt er sich. Leider ist das durchaus nicht jedes Jahr der Fall.

Jede Pflanze produziert Dutzende bis Hunderte oder gar Tausende an Samen, so dass keine riesige Fläche benötigt wird, um viel Saatgut zu ernten. Dafür braucht es unter Umständen viel Zeit. Möhren und Mangold sind zum Beispiel zweijährig, d.h. sie blühen erst im zweiten Jahr nach der Aussaat und müssen somit gut über den Winter gebracht werden. Auch unser Lauch steht vom Frühsommer des einen bis zum Spätsommer des nächsten Jahres auf dem Acker, bis wir endlich Samen ernten können. In einer so langen Zeit kann viel geschehen. Starker Frost, Stürme, Gewitter und hungrige Feldmäuse sind nur ein paar Beispiele dafür, was den Saatgutertrag schmälern oder gar zu Nichte machen kann.
Die Vermehrungskulturen brauchen wie auch unser übriges Gemüse Betreuung: Beikräuter müssen gejätet werden. Wilde Arten der gleichen Pflanzengattung müssen entfernt werden - sie könnten sich einkreuzen. Blühender Lauch braucht ein Stützgerüst.

Vor dem Dreschen muss das Saatgut genau geprüft werden. Ist es trocken genug? Ist es reif genug?
Vor dem Dreschen muss das Saatgut genau geprüft werden. Ist es trocken genug? Ist es reif genug?

Um bestmögliches Saatgut zu erhalten, muss der Erntezeitpunkt stimmen. Möglichst viele Samen sollen ausreichend reif sein, um keimfähig zu sein, aber möglichst wenige Samen sollen vor dem Sammeln oder Dreschen schon selbstständig heruntergefallen sein. Das Wetter muss trocken sein und die Samen müssen nach der Ernte schnell weiter getrocknet werden, damit sich keine Pilzinfektionen ausbreiten. Wir haben zu diesem Zweck eine eigene Trocknungsanlage mit Gebläse im Einsatz.

Wenn der Anbau bis zur Samenernte geglückt ist, steht immer noch die bange Frage im Raum: Wie hoch ist die Keimfähigkeit? Je nach Gemüseart ist der Ankaufstandard verschieden und die Samen sollen über ihre ganze Verkaufsperiode eine Mindestkeimfähigkeit behalten: bei Lauch und Petersilie werden 75% Keimfähigkeit akzeptiert, bei Mangold sollte sie über 85% liegen und bei Tomate wären 90% wünschenswert.

Nach der Ernte wird das Saatgut in großen Säcken per Spedition zur Bingenheimer Saatgut AG oder zu Sativa geschickt. Je nach Gemüseart muss das Saatgut dort mit Spezialmaschinen gedroschen, gereinigt und nach Korngrößen sortiert werden. In den firmeneigenen Laboren werden die Samen auf anhaftende Schaderreger untersucht und bei Bedarf mit warmem Wasser oder Dampf behandelt, um die erforderliche Keimfähigkeit zu verbessern. In schlechten Jahren kann es aber auch immer wieder mal passieren, dass die geernteten Samen die benötigte Mindestkeimfähigkeit nicht erreichen. Das ist der Moment der großen Enttäuschung bei allen Beteiligten: Die Saatgutfirma kann ihre Kunden nicht beliefern und wir als Anbauer haben viel Geld und Zeit investiert, die nicht entlohnt wird.

Warum also der ganze Aufwand bei so viel Risiko? Es gibt viele gute Gründe!

Wir sitzen alle im gleichen Boot – wir selbst brauchen jedes Jahr Saatgut vieler, vieler Gemüsesorten. Wenn es niemanden gäbe, der sie regelmäßig vermehrt, woher bekämen wir es?
Wenn wir - und andere engagierte Gartenbaubetriebe- uns nicht selbst um den Erhalt samenfester Gemüsesorten kümmern, dann würden manche davon binnen weniger Jahre vom Markt verschwinden. Schlussendlich laufen wir Gefahr sie komplett und auf immer zu verlieren, wie leider schon so viele traditionelle Sorten.

Unser Lauch kommt auch gut bei Insekten an
Unser Lauch kommt auch gut bei Insekten an

Wir wären immer mehr auf das Saatgut von Großkonzernen angewiesen, die bei vielen Arten Hybrid-Saatgut vertreiben. Hybride sind Kreuzungen von zwei genetisch sehr verschiedenen Elternpflanzen und deshalb kommen aus den Samen ihrer gleichförmigen Früchte auch sehr, sehr verschiedene Tochterpflanzen (mit verschiedenen Früchten) heraus - wenn die Samen überhaupt keimfähig sind. Sie sind somit nicht nachbaufähig - bei einer Gemüsesorte sollen schließlich alle Früchte möglichst ähnlich aussehen. Wir wollen ein Stück weit unabhängig bleiben und unser Saatgut nicht nur bei BASF, Monsanto oder Taki Seeds bestellen müssen!

Neben dem offensichtlichen Sinn der Saatgutvermehrung gibt es noch einen weiteren triftigen Grund: Es macht unendlich viel Freude, einer Pflanze von der Aussaat über das Keimen, Aufwachsen, Blühen und bis zur Samenbildung beizuwohnen. Und sich im nächsten Jahr zu erinnern, woher der soeben gesäte Same stammt. Probieren Sie es doch selbst einmal in Ihrem Garten aus!

Saatguternte macht Freude
Saatguternte macht Freude